Philipp Lahm äußert sich über seine Motivation als DFB-Botschafter für die EM-Bewerbung 2024 und seine mögliche Rolle als EM-OK-Chef, zur Übermacht des Fußballs und Idee der European Championships, sowie die Herausforderung, den Wechsel vom Sport ins berufliche Leben zu meistern.

Herr Lahm, mit etwas Abstand: Welche Bilanz ziehen Sie nach der WM zum einen hinsichtlich der Aufarbeitung des Abschneidens der deutschen Mannschaft und zum anderen generell: in welche Richtung entwickelt sich der Weltfußball?

Naja, die WM war für das deutsche Team sicher eine Zäsur. Deutschland hat definitiv genügend Talente und das Potenzial, um bei einer Weltmeisterschaft erfolgreich zu sein. Jetzt geht es darum, mit Ruhe und Geduld eine neue Mannschaft zu entwickeln, die dann in ihrem Auftreten an die großen Teams von 1974, 1990 und 2014 erinnert. Bei dieser WM hat man gesehen, dass die Mannschaften am erfolgreichsten waren, die eine Identität und eine Haltung entwickelt haben. Ob nun die Franzosen oder die Kroaten. Aber auch bei Mannschaften wie Island mit einer Bevölkerungsanzahl von ca. 350.000 Menschen, bei denen es eine Sensation war, dass sie sich überhaupt qualifizieren konnten, hat man gesehen, dass sie eine Einheit waren. Alle diese Mannschaften waren geprägt durch starken Teamgeist, und das gilt es jetzt auch wieder für die deutsche Mannschaft zu entwickeln. Dieser neue Teamgeist muss zu Deutschland passen, ebenso wie zu unserer Kultur und zu unserer Gesellschaft, damit sich die Menschen in Deutschland wieder mit der Nationalmannschaft identifizieren – wir brauchen ein neues „Wir-Gefühl“.

Keine zwei Monate nach dem WM-Finale startete jetzt bereits die neue UEFA Nations League. Wie bewerten Sie diesen zusätzlichen Wettbewerb?

Der Unterschied ist, dass es jetzt weniger Freundschaftsspiele gibt. Stattdessen gibt es, ähnlich wie beim Tennis, Turniere, die die Leistungsfähigkeit der Mannschaften abbilden und die zur Qualifikation dienen. Im Tennis will man im Jahr eins der vier Grand-Slam-Turniere gewinnen, und im Fußball hat man alle vier Jahre die WM und alle zwei Jahre die EM. Das sind dann die Großereignisse, die es für Fußballnationen wie Deutschland zu gewinnen gilt. In der UEFA Nations League kann ich zuvor meine Form überprüfen, weil ich gegen ähnlich starke Gegner spiele und dann entweder die Liga halte oder auf- bzw. absteige. Im Grunde ist das eine sinnvolle Weiterentwicklung.

Sie engagierten sich in den letzten Monaten als DFB-Botschafter für die EM-Bewerbung 2024. Wie haben Sie Ihre Aufgabe dabei verstanden, was ist Ihnen für die deutsche Bewerbung wichtig?

Mir ist wichtig, dass die deutsche Bevölkerung sieht, was für einen Mehrwert so ein Großereignis hat. Es geht darum, zusammenzukommen, ob im Stadion oder auf den Fanmeilen. Dort treffen die unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten zusammen, feiern und haben genau ein gemeinsames Thema – Fußball. Wenn die deutsche Mannschaft früh ausscheidet, wie in diesem Jahr, dann kann der Fußball nicht viel bewegen, und dieses Gemeinschaftsgefühl kann nicht entstehen. Meine Hauptaufgabe ist es, der Bevölkerung diesen Mehrwert einer Europameisterschaft in Deutschland bewusstzumachen. Damit dann der positive Effekt einer solchen Sportveranstaltung entstehen kann, ist es mir wichtig, dass unser Land wieder eine erfolgreiche Nationalmannschaft hat.

Sie engagieren sich auch darüber hinaus gesellschaftspolitisch. Als Mitgesellschafter der Deutschen Sportlotterie, deren Erlöse über die Deutsche Sporthilfe an Spitzenathleten fließen, kennen Sie ganz genau die Nöte anderer Sportarten – nicht nur finanziell. Ist die Übermacht des Fußballs ein Problem für die Vielfalt des Sports?

Ja, das ist ein Problem. Durch die „Übermacht“ einer Sportart geht die Vielfalt anderer Sportarten verloren, und der Zuschauer kann nicht mehr beobachten, wie viele interessante Athleten und Sportarten es gibt. Durch die finanziellen Nachteile ist es für diese Athleten schwer, sich nur auf ihren Sport zu konzentrieren, denn sie müssen zweigleisig fahren, um ihre Existenz zu sichern.

Was können olympische Sportarten dagegen tun?

Ich finde, der Zusammenschluss von unterschiedlichen Sportarten zu einem Großereignis wie den European Championships ist eine sinnvolle Entwicklung. Das ist eine enorm abwechslungsreiche Veranstaltung, durch welche die Athleten Aufmerksamkeit bekommen und bei welcher der Zuschauer die Attraktivität, Dynamik und Emotionalität der unterschiedlichen Sportarten erlebt. Die Leistung der Sportler wird honoriert, und auch Sponsoren werden motiviert, sich in diesen Sportarten zu engagieren.

Inzwischen ist es über ein Jahr her, dass Sie Ihre Sportkarriere beendet und einen neuen beruflichen Lebensabschnitt begonnen haben. Wie empfinden Sie Ihr „neues“ Leben?

Abwechslungsreich und spannend. Ich habe meine Sportkarriere so intensiv ausgelebt, dass ich emotional gut loslassen konnte. Jetzt beschäftige ich mich mit meinen Unternehmen wie Sixtus und Schneekoppe und hoffe, dass es mir und meinem Team gelingt, erfolgreich zu sein. Mit meiner Stiftung für Sport und Bildung, die ich 2007 gegründet habe, haben wir im August bereits das 25., 26. und 27. Philipp Lahm Sommercamp abgehalten, bei dem Kinder zwischen zehn und dreizehn Jahren näher mit den Themen Bewegung, gesunde Ernährung und Persönlichkeitsentwicklung vertraut gemacht werden. Natürlich genieße ich auch vor allem die Zeit mit meiner Familie.

Viele Spitzenathleten erzählen, dass sie nach der Sportkarriere erst einmal in ein Loch fallen. Wie ging es Ihnen, und worin sehen Sie rückblickend die größte Herausforderung beim Wechsel vom Sport hin zu neuen beruflichen Aufgaben?

Ich glaube, das ist gerade ein Problem für Fußballer, da sie nicht lernen, sich während ihrer aktiven Karriere auch mit anderen Themen zu beschäftigen. Da kann ich mir tatsächlich vorstellen, dass man erst mal in ein Loch fällt. Mir ging es aber ganz gut damit. Ich habe mich schon in der Mitte meiner Karriere gemeinsam mit meinem Team damit auseinandergesetzt und darüber diskutiert, was zu mir passt und wo ich mich nach der Karriere engagieren möchte. Darum habe ich mich bei Unternehmungen wie Sixtus und Schneekoppe beteiligt, die zu mir passen, und ich arbeite jetzt daran, dass diese erfolgreich sind. Ich glaube, dass die größte Herausforderung dabei ist, das Richtige für sich zu finden. Man sollte eine Aufgabe haben, die zu einem passt, die Spaß macht – und man sollte ein Team haben, mit dem man vertrauensvoll zusammenarbeiten kann.

Was treibt Sie täglich an? Sie könnten ja auch den Rest Ihres Lebens als Privatier verbringen?

Ich glaube, man sollte die Chancen nutzen, die einem in unserem Land geboten werden. Es ist wichtig, ein selbstständiges und unabhängiges Leben zu führen. Dazu muss man sich selbst und seine Neigungen kennen und Disziplin aufbringen.

Sie meinen es ernst mit Ihrem Unternehmertum und wollen nicht nur als Testimonial dastehen. Schon vor dem Ende Ihrer aktiven Zeit als Fußballprofi haben Sie auf dem Business-Sektor für Aufmerksamkeit gesorgt. Fühlen Sie sich inzwischen eher als Unternehmer oder noch mehr als Fußballer?

Ich habe definitiv die größte Kompetenz im Fußball, denn vom fünften bis zum dreiunddreißigsten Lebensjahr habe ich aktiv gespielt, und Fußball ist meine größte Leidenschaft. Ich weiß, wie intensiv man Sich mit einer Sache beschäftigen muss, um erfolgreich zu sein. Diese Erfahrung kann ich auch als Unternehmer nutzen.

Neben Ihren Aufgaben als Unternehmer bewegen Sie sich aktuell auch wieder vermehrt innerhalb des Fußballs, sind insbesondere im Falle eines EM-Zuschlags an Deutschland als OK-Chef im Gespräch…

Die Aufgabe beim DFB reizt mich, insbesondere dann, wenn es uns gelingt, die Europameisterschaft 2024 nach Deutschland zu holen. Denn die EM kann die Menschen in Deutschland wieder zusammenbringen und bietet die Möglichkeit, den Fußball in Deutschland, vom Amateur- bis zum Spitzenbereich, zu beeinflussen. Diese Aufgabe, einen Teil dazu beizutragen, reizt mich sehr.

Philipp Lahm war von 2004 bis 2014 deutscher Nationalspieler und führte die Mannschaft als Kapitän 2014 in Brasilien zum Weltmeistertitel. 2013 gewann er mit dem FC Bayern München das Triple aus Deutscher Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League. Er ist Ehrenspielführer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und Botschafter der Bewerbung des Deutschen Fußball-Bundes um die Ausrichtung der UEFA EURO 2024. Als Mitgesellschafter der Deutschen Sportlotterie engagiert er sich insbesondere auch für die Belange der Sporthilfe-geförderten Athleten. 2007 gründete er seine Stiftung für Sport und Bildung, mit der er in Deutschland und Südafrika aktiv ist. Mittlerweile ist der Campus Bad Aibling das Herz der unternehmerischen Tätigkeiten von Philipp Lahm. Dort entwickelt er zusammen mit Experten und Partnern Strategien und Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, seine beiden Unternehmen Sixtus und Schneekoppe agil und zukunftsfähig aufzustellen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: Stiftung Deutsche Sporthilfe, Bildrechte: Phillipp Lahm/ Instagram  https://www.instagram.com/p/BgyYFX5BGkB/?hl=de&taken-by=philipplahm

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert