Mit 60 in Rente? Davon hält Doro Pesch nichts. Im Interview spricht die Sängerin über ein historisches Ereignis, das sie beinahe verpasst hätte, eine traumatische Erfahrung und unerfüllte Träume.

Doro Pesch, wie laut wird es an Ihrem Geburtstag?
Ich weiß wohl, dass meine Freunde, die Wacken-Leute wohl etwas planen. Ich habe das allererste Mal 1993 auf dem Wacken-Festival gespielt, als es noch ganz klein war, zuletzt dann im vergangenen Jahr, als Headliner zu meinem 40-jährigen Bühnenjubiläum. Da gibt es sehr viele alte Freundschaften, zudem kommen noch ganz treue Fans aus der ganzen Welt, aus Amerika, aus Brasilien, England und Skandinavien. Wir werden einen gepflegten Zug durch die Düsseldorfer Altstadt machen. 

Sie haben sich gerade ins Goldene Buch ihrer Heimatstadt Düsseldorf eingetragen.
Verrückt, oder? Wer hätte gedacht, dass wir mit Heavy Metal und Hardrock irgendwann einmal so akzeptiert sein würden. 

Sie haben Ihr Bühnenjubiläum angesprochen. Wie haben Sie so lange durchgehalten?
Das ging ganz easy. Ich habe immer eine riesige Freude daran gehabt, die Leute glücklich zu machen. Wenn ich sehe, wieviel Power es den Fans gibt, wie happy sie das macht, dann bin ich der glücklichste Mensch der Welt. So ging es mir vom ersten Tag an auf der Bühne. Ich bin ja selbst Musikfan. Das ging bei mir schon los, da war ich gerade mal drei Jahre alt. 

Ihr erster Lieblingssong?
„Lucille“ von Little Richard, darauf bin ich als Dreikäsehoch sofort abgefahren. 

Haben Sie ihn später mal getroffen?
Das habe ich so ein wenig verbockt. Ich war in den USA und habe mit Gene Simmons von Kiss eine Platte aufgenommen. Er meinte, Little Richard würde im Hotel gegenüber wohnen, ich könnte ihm mal „Guten Tag“ sagen. Ich habe das immer weiter aufgeschoben, bis es irgendwann leider zu spät war. 

Auch ein großes historisches Ereignis hätten Sie wegen der Arbeit im Studio damals beinahe verpasst.
Gene sagte, ich solle mal mit ihm in die Lobby kommen, im Fernsehen läuft eine Übertragung, die mich interessieren könnte. Ich war aber so fokussiert aufs Einsingen, dass ich sagte, nein, lass mal, ich muss hier weitermachen. Aber er ließ nicht locker, bis ich irgendwann mit ihm vor dem TV-Gerät stand und sah, was er meinte: Die Nachrichten zeigten Bilder aus Deutschland. Die Mauer war gefallen. Wir standen schweigend Hand in Hand da und sahen es im Fernsehen. Ein irrer Moment war das.

Was brachte Sie in jungen Jahren dazu, auf die Bühne zu gehen?
Ich war als Kind sehr krank und kam mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus, später wurde bei mir Tuberkulose diagnostiziert. Die Zustände in diesem Krankenhaus waren katastrophal, ich wurde von den älteren Patientinnen gemobbt, mir wurde Wodka eingeflößt, ich bekam kaum etwas zu essen. Es waren Gitter vor den Fenstern. Meine Mutter sorgte dafür, dass ich verlegt wurde, irgendwann ging es wieder bergauf. Die Erfahrung damals war so traumatisch, so prägend, dass ich dachte: Wenn du hier lebend rauskommst, dann musst du das machen, worauf du Bock hast. Es könnte jeden Moment alles vorbei sein. Es geht darum, die Zeit, die man hat, bestmöglich zu nutzen. Irgendwann wurde ich schließlich entlassen, zwei Wochen später hatte ich meine erste Band. 

Mit Warlock schafften Sie Mitte der 80er Jahre den Durchbruch. Erinnern Sie sich an einen bestimmten Moment, in dem Ihnen klar wurde, dass sich von nun an einiges ändern würde?
Das weiß ich sogar noch ziemlich genau. Wir hatten zu der Zeit schon ein paar coole Gigs in Großbritannien gespielt, als wir das Angebot bekamen, auf einem Festival in Castle Donington zu spielen. Monsters Of Rock, das klang schon mal super. Ich ging von fünf- oder sechstausend Zuschauern aus, was ja schon eine Menge gewesen wäre. Dann standen da 80.000 Leute, das war unfassbar. Mir schlotterten die Beine, ich habe am ganzen Körper gezittert. Ich dachte, ich würde das nicht packen. 

Wie haben Sie es gepackt?
Ich habe Lemmy von Motörhead backstage getroffen. Der kam auf mich zu und fragte: Na, hast du Schiss? Ich sagte, ja, das da draußen ist einfach zu heftig. Da nahm er mich in den Arm, drückte mir ein feuchtes Küsschen auf die Stirn und sagte: Hau’ rein, du schaffst das. Mach’ sie fertig. Dann bin ich rausgegangen und es funktionierte. Die Leute sind abgegangen wie ein Zäpfchen. Lemmy und ich wurden sehr gute Freunde, er war einfach ein unglaublicher Typ. Wir haben zusammen Platten aufgenommen, wir sind zusammen getourt. Da war immer eine sehr große Verbundenheit zwischen uns, er war einfach der Beste. 

Wie haben Sie sich überhaupt in der männlich geprägten Heavy-Metal-Szene durchgesetzt?
Ich habe mich da immer total wohlgefühlt. Ich war einfach eine Sängerin in einer Band und wurde supergut behandelt. Von allen, auch von den ganzen großen Acts wie Metallica, Judas Priest, Motörhead, die Scorpions, Ronnie James Dio, einem meiner Lieblingssänger. Wir waren ja mit allen unterwegs. Die waren lieb zu mir und haben mich unterstützt. Das war eine Herzensangelegenheit. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich mich als Frau anders verhalten müsste. Ich habe einfach das gemacht, was ich geliebt habe. Ich glaube, jeder hat das gemerkt: Die macht ihr Ding, die nimmt das ernst. Im öffentlichen Leben war es vielleicht mal schwierig. Da ist man wegen der Klamotten oder einfach, weil es ein bisschen lauter zuging, schon mal aus einem Restaurant geflogen. Gleichzeitig ging es ja auch genau darum, ob nun im Punk oder im Metal: Man wollte auffallen und auch mal anecken. Wozu trägt man sonst die ganzen Nieten auf der Jacke? (lacht) 

Gibt es eine Metal-Spielart, die selbst Ihnen zu hart ist?
Eigentlich nicht, ich mag alle Arten von Metal. Es gibt ja jetzt auch Sängerinnen wie Alissa White-Gluz von Arch Enemy, die dieses krasse Growlen beherrscht. Das ist schon extrem, ich finde es super. 

Beherrschen Sie diese Technik?
Ich habe es noch nicht probiert. Ich habe ja ganz früher mal Gesangsunterricht gehabt, bis meine Bandleute sich wunderten und fragten, was denn mit meiner Stimme los sei. Ich sollte doch lieber wieder so rauh und natürlich singen wie vorher. Bei mir geht das immer am besten aus dem Bauch heraus. 

Stichwort Sex, Drugs, Rock’n’Roll. Gab es mal Phasen in Ihrer Karriere, in denen es heftiger zuging, als gesund war?
Ich habe das alles natürlich mitbekommen, wenn es Leuten wie Lemmy zum Beispiel richtig mies ging und sein Leibarzt kommen musste. Irgendwie haute das nach ein paar Wochen meistens wieder hin. Ich habe so etwas aber nie gemacht. Ich komme aus einer LKW-Familie, ich weiß, dass man einen klaren Kopf haben muss, wenn man sich hinters Lenkrad setzt. Das hat mein Vater mir immer eingeschärft. Ich blieb also immer nüchtern, die anderen haben gefeiert, anschließend habe ich alle nach Hause gefahren. Ich mochte das. Als ich jetzt beim Empfang in Düsseldorf war, habe ich alkoholfreien Sekt getrunken. Das ist total okay.  

Wie sah es mit Groupies aus?
Hatte ich nie. Ich habe eine Menge Heiratsanträge bekommen, den letzten gerade erst vor fünf Tagen.  

Wie haben Sie reagiert?
Ich sagte, Mensch, du weißt doch, ich bin mit Heavy Metal verheiratet. (lacht) Wenn sich das irgendwann mal ändert, dann melde ich mich bei di. Da war er ganz happy. Ich hatte ohnehin das Gefühl, er wollte das mit Antrag nur einfach mal loswerden. 

Sie singen, Sie haben geschauspielert und geboxt. Was gibt es noch an unerfüllten Träumen?
Ich möchte mich in Zukunft noch mehr für Tiere engagieren. Ich bin vegan geworden, alle meine Bühnenklamotten sind aus veganem Leder. In der Richtung möchte ich noch mehr tun. Wenn man einmal weiß, was in dieser Industrie so vor sich geht, kann man die Augen nicht mehr verschließen. Da möchte ich mich noch viel, viel mehr engagieren. Und natürlich für das Gute in der Welt und für die Fans. Ich will die Leute glücklich machen, viel positive Energie ausgeben, viel Mut, viel Hoffnung. Ich stehe für das Gute ein. 

Mit Sabina Classen von Holy Moses hat sich im Vorjahr eine der große Metal-Legenden von der Bühne verabschiedet. Gibt es bei Ihnen Pläne, was einen möglichen Ruhestand angeht?
Nein, die gibt es nicht. Ich mache einfach immer weiter. Wenn mir jetzt einer sagt, dass ich ja nun 60 werde, dann denke ich: Von wem spricht der bloß? Ich fühle dieses Alter nicht, im Gegenteil, eigentlich bin ich fitter als je zuvor. Zum 40-jährigen Jubiläum hab’ ich gesagt: Auf die nächsten 40 Jahre! Ich ziehe das so lange durch, wie Gott will. Ich mache es auf die Lemmy-Art, so wie Lemmy Kilmister von Motörhead: Bis zum letzten Tag, bis zum letzten Atemzug.

Die deutsche Rock-Musikerin Doro Pesch hätte einst ohne die Intervention ihres Musiker-Kollegen Gene Simmons fast den Mauerfall verpasst. „Gene sagte, ich solle mal mit ihm in die Lobby kommen, im Fernsehen läuft eine Übertragung, die mich interessieren könnte“, erzählte Pesch. Der Kiss-Sänger und der deutsche Rockstar waren gemeinsam in den USA, um einen Song aufzunehmen. Sie sei jedoch so konzentriert auf das Einsingen gewesen, dass sie sich nicht aus dem Studio bewegen wollte, erzählte Pesch, die am 3. Juni ihren 60. Geburtstag feiert. „Aber er ließ nicht locker, bis ich irgendwann mit ihm vor dem TV-Gerät stand und sah, was er meinte: Die Nachrichten zeigten Bilder aus Deutschland. Die Mauer war gefallen“, so Pesch. „Wir standen schweigend Hand in Hand da und sahen es im Fernsehen. Ein irrer Moment war das.“

Pesch spricht in dem Interview auch über ihre Freundschaft zu Lemmy Kilmister von Motörhead. Einmal habe Kilmister ihr vor einem Auftritt die Angst genommen. „Der kam auf mich zu und fragte: Na, hast du Schiss? Ich sagte, ja, das da draußen ist einfach zu heftig. Da nahm er mich in den Arm, drückte mir ein feuchtes Küsschen auf die Stirn und sagte: Hau’ rein, du schaffst das. Mach’ sie fertig. Dann bin ich rausgegangen und es funktionierte.“

Quelle: Stern, Fotocredit: Doro Pesch/Instagram

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