Der frühere Chef der Linkspartei, Gregor Gysi, glaubt nicht, dass Gerhard Schröder jemals Bundeskanzler geworden wäre, wenn er in der DDR groß geworden wäre. Das hätte „schon vom Typ her nicht“ gepasst, sagt Gysi in einem Interview. „Die Merkel ist es auch nur geworden, weil die Union eine schwere Spendenkrise hatte. Plötzlich drehte sich da was, weil alle im Westen irgendwie etwas damit zu tun hatten, nur sie aus dem Osten nicht“, sagt Gysi.

Der Linken-Politiker erzählt im großen stern-Interview über 70 Jahre Bundesrepublik, dass er nicht weinen musste, als die Mauer gefallen sei. „Es hat mich aber schon berührt. Meiner Lebensgefährtin habe ich gesagt: ‚Das ist der Anfang vom Ende der DDR, darüber muss ich jetzt erst mal nachdenken.'“ Außerdem habe er am darauf folgenden Tag einen Mordprozess als Anwalt gehabt. „Und ich kenn doch die deutsche Justiz: Wegen Weltereignissen fällt keine Verhandlung aus.“

Gysi schildert im stern auch, wie sehr der Westen ihn kulturell beeinflusst und ihn die „tief sitzende Intellektuellenfeindlichkeit“ in der DDR gestört habe. „Einen bestimmten Humor mochten Funktionäre nicht, Ironie mochten sie auch nicht, sie war ihnen eher fremd. Aber ich konnte nicht anders sein.“ Gysi war im Dezember 1989, einen Monat nach dem Mauerfall, zum Vorsitzenden der SED-Nachfolgepartei PDS gewählt worden und hatte die Partei drei Monate später in die ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer geführt.

In jenen Tagen habe er „manchmal schon“ gespürt, dass er Geschichte schreiben würde. Im Dezember 1989 habe er mit dem damaligen KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow telefoniert. „Der hat mir gesagt: ‚Wenn Sie die SED aufgeben, geben Sie die DDR auf. Wenn Sie die DDR aufgeben, geben Sie die Sowjetunion auf.‘ Da habe ich gesagt: ‚Wissen Sie, auf den Schultern eines kleinen Berliner Advokaten reicht mein Verein. Da brauche ich nicht noch die ganze Sowjetunion obendrauf.‘ Das war das einzige Mal, dass er lachen musste.“

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: STERN, Bildrechte/Fotocredit: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

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